Die Berliner Band Rag Doll veranstaltet eine Crowdfunding-Aktion für ihre neue CD - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work



AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 21.10.2020


Die Berliner Band Rag Doll veranstaltet eine Crowdfunding-Aktion für ihre neue CD
Amelie Protscher, Andrea Protscher

Neunzehnhundertzwanzig? Zweitausendzwanzig! Um die Studio-, Grafik- und Presskosten des Albums zu finanzieren hat die Band um Amy Protscher, Käthe von T. alias Katharina Goebel und Tanja Becker eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Bis zum 15. November um Mitternacht könnt ihr sie dabei unterstützen. Erscheinen soll die CD "Beneath The Crown Of The Empress" im Dezember 2020 auf Deborah´s Song Records. Sollten die Corona-Infektionsraten es zulassen, finden drei CD-Release-Partys in Berlin statt




Die 1920er Jahre waren eine Zeit radikaler Umbrüche. In einer politisch wie wirtschaftlich höchst volatilen Ära feierte die Frauenbewegung ihre ersten Erfolge und mit der Harlem Renaissance bekam die Bürger_innenrechtsbewegung der amerikanischen Schwarzen eine Initialzündung, während sich in den Parlamenten nationalistische Reaktionäre und linke Reformer aneinander abarbeiteten. Die Parallelen zu 2020 liegen auf der Hand.

Nicht erst seit Babylon Berlin sind die 1920er Jahre wieder im kollektiven Bewusstsein angekommen und mit ihnen ihre Populärmusik. Wer hat die Titel von Claire Waldoff und Friedrich Hollaender nicht im Ohr? Auf der anderen Seite des Atlantiks traten derweil Jazz und Blues ihren Siegeszug um die Welt an und revolutionierten die Hörgewohnheiten ihres Publikums. Und die ersten Schallplattenstars dieses neuen Genres waren Frauen.

Mit Bessie Smith, Ma Rainey, Alberta Hunter, Ethel Waters und vielen anderen war ein neuer Typus von Entertainerin geboren, die sich nicht nur auf bestehendes Songmaterial in Form von Jazzstandards verließ, sondern ihre Titel vorwiegend selbst schrieb, wobei sie oft mit beißender Ironie Bezug auf die Themen ihrer Zeit nahm und ein allzu niedliches Image bewusst vermied. Mit dieser Generation von Jazzsängerin standen betont erwachsene, "gestandene Frauen" auf der Bühne.

Bessie Smith – die amerikanische Claire Waldoff

Wegen der Unzulänglichkeit der Mikrofontechnik der damaligen Zeit erforderte die Darbietung einen sonoren, durchsetzungsfähigen, melodisch einfach gehaltenen Gesangsstil, um sich gegenüber einer Band durchzusetzen, die auch Blechblasinstrumente beinhaltete. Entsprechend wurden die Besetzungen der Bands meist klein gehalten, so dass in der Regel das Schlagzeug, oft auch der Kontrabass entfiel und die Zahl der Bläser auf ein oder zwei beschränkt wurde. Die Darbietung entfaltete sich dann in der Regel als Dialog zwischen Gesang und Solobläser auf einem vom Klavier getragenen Hintergrund. Die Pianobegleiter dieser Sängerinnen hatten damit im Alleingang für den Hintergrund zu sorgen und dementsprechend virtuos und orchestral war deren Spielweise angelegt.

Die folgende Big Band-Ära bedeutete für viele dieser Sängerinnen das vorläufige Karriereende. Weil mittlerweile bessere Mikrofone und Verstärker erhältlich waren, wirkte der wuchtige Ausdruck ihres Stils antiquiert im Vergleich zum feingliedrigeren, beweglicheren Ton der nächsten Generation, die von Billie Holiday und Ella Fitzgerald repräsentiert wird.

Ein erstes Revival

Erst mit dem "Blues-Boom" der 1960er Jahre wurden viele dieser Sängerinnen wiederentdeckt und machten neue Aufnahmen. So wurde Alberta Hunter mit 82 Jahren aus ihrem Ruhestand als Krankenschwester geholt und startete eine neue Karriere, die bis in ihr 89. Lebensjahr anhalten sollte. Gleichzeitig machten sich drei Frauen aus Fredericksburg, Virginia, daran, mit Akustikgitarre, Klavier und Kontrabass dem Classic Female Blues neues Leben einzuhauchen und gründeten 1987 Saffire – The Uppity Blues Women (www.alligator.com). Sie interpretierten nicht nur die großen Erfolge der Sängerinnen um Bessie Smith neu, sondern bereicherten das Blues-Repertoire mit zahlreichen Eigenkompositionen. Musikalisch blieben diese dem alten Stil zwar treu, aber in ihren Texten nehmen sie pointiert Bezug auf aktuelle Themen und betrachten diese durch eine feministische Brille. Leider führte die Krebserkrankung der Pianistin und musikalischen Triebfeder von Saffire, Ann Rabson, im Jahr 2009 zur Auflösung der Gruppe.

Frech und feministisch

Zwei Jahre später begann in Berlin die Pianistin Amy Protscher, mit Rag Doll (www.ragdollmusic.de) ein ähnliches Konzept zu entwickeln. Frech, feministisch und noch näher dran am bläserbetonten Sound der 1920er sollte es sein. Nach einigen Umbesetzungen war 2014 die Erfolgsformel gefunden: Käthe von T. alias Katharina Goebel erwies sich mit ihrer an Blues und Gospel geschulten Röhre und extrovertierten Persönlichkeit als Idealbesetzung. An der Posaune, die sie mit viel Humor und Spielwitz heiser juchzen, jubilieren und bellen lässt, sorgt Tanja Becker für Gegenmelodien und virtuose Soli. Zusammengeklammert wird der Sound durch Amys authentisches Stride-Piano und einem unter dem Klavier positionierten Percussionarsenal, das sie wie ein Drummer mit den Füßen bedient.

Mit Herz und Schnauze entführen die drei ihr Publikum in das goldene Zeitalter von Ragtime, Boogie Woogie, Harlem Stride und Barrelhouse. Der Funke springt sofort über, und sie verwandeln jede Bühne in einen großartigen, alten Juke Joint im amerikanischen Süden der 1920er. Es darf gelauscht, geswingt und getanzt werden, bis die Luft brennt. Paradoxerweise führten die Live-Qualitäten der Band dazu, dass der erste Tonträger lange auf sich warten ließ: denn im Studio war die elektrisierende Atmosphäre der Rag Doll-Performance kaum nachzustellen.

Crowdfunding in Zeiten von Corona

Am 22.02.20, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, kam es jedoch zu einer Livesession vor Publikum im Aufnahmesaal des Zehlendorfer Greve Studios (www.greve-studio.de). Die Zeit des Lockdowns nutzten die Musikerinnen größtenteils per Videokonferenz zum gemeinsamen Feilen an den Aufnahmen. Und am Ende entstand daraus die CD "Beneath The Crown Of The Empress", die im Dezember 2020 auf Deborah´s Song Records erscheinen soll.

Weil es in Zeiten von Corona für die Band kaum Möglichkeiten gab, vor Publikum aufzutreten und Einnahmen zu generieren, mussten andere Möglichkeiten gefunden werden, die Studio-, Grafik- und Presskosten des Albums zu finanzieren. Und so entschloss sich die Band, eine Crowdfunding-Aktion zu starten. Bis zum 15. November um Mitternacht noch könnt ihr die Gruppe bei ihrem Vorhaben unterstützen unter: www.kickstarter.com.

Sollten die Corona-Infektionsraten es zulassen, finden drei CD-Release-Partys statt: am 10.12.2020, 20:00 in der Bluesgarage, Berlin-Schöneberg (für alle) und am 11.12.2020, 20:00 und 21:30 (zwei Shows) in der Begine, Berlin-Schöneberg (nur für Frauen).

Videos:

My Castle´s Rockin´ (Alberta Hunter) www.youtube.com
Old-Fashioned Love (Johnson/Mack) www.youtube.com
Prove It On Me Blues (Ma Rainey) www.youtube.com

Copyright Foto: Uwe Arens


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Beitrag vom 21.10.2020

AVIVA-Redaktion